Nun ja, ich hab ja eine Weile in der Branche gearbeitet und versuche mal, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Elias2000 hat geschrieben:Aktuell hab ich mir in den Kopf gesetzt mehr über die ganzen "Geheim geheim" Fahrzeuge der Audi herauszufinden
Das vergiss mal ganz schnell wieder, das ist faktisch unmöglich und wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt und zuviele Fragen stellt, kann das als Versuch der Industriespionage gewertet werden. Da sind die alle sehr dünnhäutig.
Elias2000 hat geschrieben:Leider zählen die Fahrer dieser Wagen zu einer sehr lichtscheuen Sorte Volk und es ist nahezu unmöglich einen zu finden, der was drüber sagt. An die Leute die über den Fahrern stehen ist schon gleich garkein Rankommen.
Zu Recht, das Zeug ist nicht umsonst geheim. Bei den Fahrern kannst du von Glück reden, wenn die überhaupt irgendwas wissen; dazu später mehr. Die Ingenieure und alle anderen mit Ahnung dürfen im Arbeitsvertrag teils drakonische Strafen bei Verstößen gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschreiben. Mir blühten im schlimmsten Fall Schadenersatzforderungen in dreistelliger (!) Millionenhöhe. Kann keiner bezahlen der Arbeiten muss, demnach kann sowas durchaus auf Knast rauslaufen.
Elias2000 hat geschrieben:Schade dass man sich nciht mal so einen ausgemusterten Prototypen ansehen kann, aber an die wirds genauso wenig drankommen geben, wie an die Fahrer.
Die Prototypen werden, wie ACQ92 schon schrieb, nach dem Ausmustern verschrottet und verwertet. Gerade damit nicht Hinz und Kunz dran kommt. Letztendlich sind das bis zum offiziellen Erscheinen des Fahrzeugs die größten Betriebsgeheimnisse und sensible Daten.
In Betriebsgeheimnisse darf jemand wie Du, der vielleicht ein guter Kerl ist, aber sonst nix mit dem Laden zu tun hat und null verpflichtet ist, völlig zu Recht nicht eingeweiht werden. Da fehlt jede Kontrolle, ob die Information dann nicht an die Konkurrenz, oder schlimmer noch, an die Presse geht. Die beste Chance "ranzukommen" ist also, in der Abteilung anzufangen.
Bei den Herstellern selbst gibts im Grunde ohne Vitamin B keine Möglichkeit, direkt in den Betrieb aufgenommen zu werden. Die fetten Jahre sind definitiv vorbei, BMW hat jede Menge Leute entlassen und die Mitarbeiterprämien zusammengestrichen, 2019 gabs offiziell erstmals seit 20 Jahren Verlust in der Bilanz. Man kann aber über eine Zeitarbeitsfirma wie zB Bertrandt, Ferchau, TKI und wie sie alle heißen mitwirken. Wenn man durch gute Arbeit positiv auffällt, kann man drauf hoffen vom Hersteller übernommen zu werden. Nur... Gerade auch damit sich das Wissen nicht zu sehr sammelt, sind die Entwicklungsdienstleister fast alle solche Hire&Fire-Läden, egal was sie auf den Webseiten und Ausschreibungen behaupten. In der Tat sind Arbeitsverträge dort zwar zumeist unbefristet. Sehr viele schaffens aber nicht mal durch die Probezeit, noch mal mehr werden bei Projektabschluss gekündigt. Die Personalfluktuation ist sehr, sehr hoch. Auf die Probleme dessen möchte ich nicht weiter eingehen. Ich war zwar sehr stolz, dort zu arbeiten, aber ich grolle auch nach zwei Jahren noch.
Elias2000 hat geschrieben:ich will wissen wie man ein Auto steuert wenn es noch garkeine Seriensteuergeräte dafür gibt.
Nun ja, wie wird ein Auto eigentlich entwickelt? Das ist jetzt eigentlich nicht so geheim. Viele Entwicklungen der Teilsysteme laufen vorab parallel, bevor sie erst am Schluss zum Gesamtsystem zusammengeführt werden; Elektronik, Karrosserie, Fahrwerk, Antrieb und so weiter. Bei deinem Spezialfall:
Die Steuergeräte sind oft noch vor der Karrosserie fertig. Zuerst kommt natürlich deren Konstruktion in der Planung. Was muss das STG können, was brauchts an Schnittstellen und Datenfluss? Im Rahmen dessen kommt auch die erste virtuelle Simulation, in die alle Berechnungen einfließen.
Sobald es da grünes Licht gibt, gehen die Pläne und Daten an den Zulieferer. Der fabriziert zunächst eine Kleinserie Prototypen. Der nächste Entwicklungsschritt heißt "Hardware in the Loop", kurz HiL. Dazu werden die Geräte recht aufwendig mit Sensoren, evtl. auch Aktoren als eigenständiges Teilsystem in einen Versuchsaufbau eingebettet. Hier wird dann erprobt, ob die simulierten Daten zutreffen, wie belastbar das System ist, welche Fehler auftreten können und so weiter. Dabei wird auch die Programmierung vorgenommen und angepasst. Bis jetzt ist schon mindestens 6-12 Monate um.
Ist das alles erfolgreich abgeschlossen, kommt der Test im Gesamtsystem. Motorprüfstand und so weiter. Danch kommen erst die Fahrversuche. Ein fahrbereiter Prototyp ist also mit längst fertigen Steuergeräten unterwegs. Damit wird das Zusammenspiel aller Komponenten erprobt und optimiert. Bei vielen ist unter der Haube noch Messtechnik integriert, während der für die Systeme eher unwichtige Innenraum erst halbfertig ist. Das kommt im Entwicklungsverlauf so nach und nach rein. Wichtig sind viele, viele gefahrene Kilometer. Wer die fährt ist zweitrangig, selten sitzt ein Ingenieur mit Laptop auf dem Beifahrer drin. Oftmals sinds Zeitarbeiter ohne wirkliche Ahnung. Testwagenfahrer kann man sogar auf 450€-Basis werden (zB bei Magna). Einzige nötige Qualifikation: Führerschein. Ausbildung als KFZ'ler ist hilfreich, aber eigentlich nicht nötig. Die Blackbox vom Entwicklungszentrum zeichnet alles schön auf, was von Interesse ist wird später beim Auslesen rausgepickt.
tooslow hat geschrieben:Nachdem der SLS zum Verkauf rauskam hatte ich einmal einen Tester am Strassenrand gesehen, ich hin und mit dem Fahrer gesprochen, Beifahrerseite Voll, mit Computeraufbauten. [...] durfte sogar in den Motorraum schauen
Da war das Fahrzeug schon vorgestellt und die Geheimhaltung ist unwichtig. Erst nach der Vorstellung (Start of Communication, SoC) fällt die Tarnung und Geheimhaltung nach und nach.
Hoffe ich konnte ein wenig aufklären und habe nicht zuviel preisgegeben. Ihr werdet mich schon nicht verpetzen.